Die unsichtbare Grenze
Es beginnt oft subtil. Ein gutes Gefühl nach dem Training, eine sichtbare körperliche Veränderung, das Lob von außen. Und plötzlich schleichen sich Gedanken ein wie: „Wenn ich heute nicht gehe, fühle ich mich schlecht.“ Oder: „Ich habe so viel gegessen, ich muss das wieder ausgleichen.“
Sport tut gut. Er bringt uns in Bewegung, stärkt Körper und Geist, setzt Endorphine frei. Doch was passiert, wenn aus dem gesunden Ausgleich eine stille Verpflichtung wird? Wenn wir nicht mehr mit Freude aufs Fahrrad steigen oder ins Fitnessstudio gehen, sondern weil wir „müssen“? Wann kippt die Motivation vom Wohlgefühl zur Vermeidung?
Was als Freude begann, wird zur Pflicht. Der Körper wird zum Projekt, das ständig optimiert werden muss. Und gleichzeitig wird Sport zur emotionalen Schutzmauer – gegen Stress, Leere, Traurigkeit oder innere Unruhe.
Kompensation statt Verbindung
Die zentrale Frage lautet: Wofür mache ich das wirklich?
- Dient mir diese Bewegung gerade? Oder dient sie dazu, etwas nicht fühlen zu müssen?
- Fühle ich mich nach dem Training freier – oder eher leerer?
- Kann ich heute auch mal nicht trainieren, ohne dass mein Selbstwert darunter leidet?
Sucht und Zwang entstehen oft dann, wenn wir unbewusst versuchen, innere Prozesse über äußere Handlungen zu regulieren – anstatt sie zu spüren. Sport kann dann wie ein innerer Fluchtweg funktionieren: Er lenkt ab, hält in Bewegung, schützt vor dem Innehalten.
Vermeidung fühlt sich oft wie Kontrolle an
Was wir vermeiden, fühlt sich oft gar nicht wie Verdrängung an, sondern wie Disziplin. Aber Disziplin fühlt sich in ihrer gesunden Form lebendig an, geerdet, verbunden mit dem eigenen Sinn. Zwanghaftigkeit hingegen ist eng, engstirnig, von Angst durchzogen.
Wenn wir zum Beispiel Sport treiben, um bestimmte Gefühle nicht zu spüren – z. B. Trauer, Unsicherheit oder Einsamkeit – dann ist das Training vielleicht effektiv, aber nicht heilsam.
Ausblick:
Im nächsten Beitrag gehen wir tiefer:
➡️ Wie erkenne ich den Unterschied zwischen gesunder Disziplin und zwanghaftem Verhalten – auch in anderen Lebensbereichen wie Arbeit, Beziehungen oder Konsum?